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Der Tag eines Lotsen auf der Kieler Förde
Es ist 10.30 Uhr. Als echter Farbtupfer im grauen Hafen von Strande – die Sonne quält sich noch durch die Wolken – liegt es da: das leuchtend orangefarbene Lotsenboot. Markus Böhm trifft sich mit seinem Kollegen am Anleger. 35 Schiffe hat die Wachstation an der Schleuse in Holtenau für diesen Tag gemeldet – und jedes braucht seine Lotsen. Der Kapitän sammelt das Team ein und macht sich mit 25 Knoten auf ruhiger Ostsee auf den Weg zum Leuchtturm Kiel.
Die kleinen Wellen brechen am Bug des Bootes, um sich dann am Heck brausend zu verlieren. Am Horizont verschmelzen Himmel und Wasser miteinander. Die Stimmung ist entspannt. Über den leichten Wellengang können die Männer nur lachen. Hier und da fällt ein Spruch unter Seeleuten, man nimmt sich auf den Arm – „lotsisch“, erklärt Markus mit einem Zwinkern. Konzentriert steuert der Kapitän das Boot Richtung 54° 30‘ nördliche Breite und 10° 16‘ östliche Länge, genau dorthin, wo sich der Leuchtturm Kiel befindet. „Weißt du noch? Vor ein paar Tagen sah es hier noch so aus“, sagt der Kapitän und hält Markus sein Handy mit einem Video vor die Nase, das eine tobende Ostsee und ein stark schwankendes Lotsenboot dokumentiert. Markus nickt wissend. Der 45-Jährige hat das Wasser schon in all seinen Facetten kennengelernt, hat die Meere der Welt gesehen – zuerst als Schiffsmechaniker, dann als Nautiker und schließlich als Lotse.
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Vom Los eines Lotsen
„Entweder Luft- oder Seefahrt“ – dieses Ultimatum hat Markus sich als Schwabe in der Orientierungsphase seines beruflichen Werdegangs gestellt. Da ihm ein guter Freund von der Luftfahrt abriet, ging es hinaus aufs Meer. „Der Bodensee war mir etwas zu klein, so kam ich nach Norddeutschland“, scherzt der Lotse. Auf eine Ausbildung zum Schiffsmechaniker bei Hapag Lloyd folgte, nachdem er ein paar Jahre zur See gefahren war, ein Diplom im Bereich Nautik, das er an der Fachhochschule Bremen erwarb.
Beziehungen aus Ausbildungszeiten brachten ihn nach abgeschlossenem Studium zur TT-Line, wo er sechs Jahre als Offizier für die Fährverbindung Travemünde-Trelleborg zur See fuhr. Eine private Beziehung? „Ja.“ Soziale Kontakte? „Wenige.“ Als Seemann weiß Markus, wie es ist, monatelang von Familie, Partnerin und Freund*innen getrennt zu sein. „In der wenigen Zeit, die ich zuhause war, musste ich fast krampfhaft soziale Kontakte aufrecht halten oder wieder neu aufbauen“, erinnert er sich. Und obwohl er seinen Job, die Weiten des Meeres, ab und an auch die Stille und Einsamkeit liebte, musste etwas Neues her. „Ich will Lotse werden“, hat Markus dann 2008 – nach insgesamt elf Jahren auf See – bei der GDWS-Behörde (Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt) angekündigt. Gesagt, getan. Acht Monate später trat er seinen Dienst am Leuchtturm Kiel an. Von nun an ist er Berater von Kapitän*innen, überprüft und beaufsichtigt, ist der erste Kontakt, den ein fremdes Schiff mit deutschem Gewässer hat, ist der Experte im lokalen Fahrwasser und derjenige, der ein Schiff sinnbildlich in den sicheren Hafen führen soll – genau, wie ein Leuchtturm.
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Fels in der Brandung
Nach nur 15 Minuten Fahrt erscheinen die drei Fundamentkörper aus Stahlbeton mitsamt des 33,5 Meter hohen Turmes aus Aluminium am Horizont. Das Rot-Weiß sticht aus dem Grau heraus, das der Himmel dem Gesamtbild an diesem Tag noch immer auferlegt. Die 50 Meter langen Schenkel der Plattform stehen im rechten Winkel zueinander. „So können die Kapitäne der Lotsenboote schauen, auf welcher Seite der Molen es gerade geschützt ist, sodass auch bei stärkerem Seegang angelegt werden kann“, erklärt Markus. Kühl und rau erscheint die erstaunlich weitläufige Betonplattform, die aus der Ferne gar nicht so groß zu sein schien.
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Wie das Leuchtfeuer in 29 Metern Höhe dem Ganzen nachts Wärme und Sicherheit entgegensetzt, weiß die Besatzung der Lotsenstation nur zu gut. Im Inneren des Turmes offenbart sich eine Einrichtung mit 70er Jahre-Charme. Historische Fotos einer völlig vereisten Lotsenstation zieren die Wände der Aufenthaltsräume und machen noch einmal deutlich, wie harmlos sich die See an diesem Tag präsentiert. Lotsen und Wachmänner haben hier die Möglichkeit, sich zu stärken, sich aufzuwärmen, ja sogar sich in einem Bett auszuruhen und so die Zeit bis zu ihrem nächsten Einsatz zu überbrücken. Wer möchte, putzt sich die Zähne im Badezimmer – vorausgesetzt, er stört sich nicht weiter an dem Salzgehalt im Leitungswasser. „Auch, wenn ich nicht hier auf der Plattform wohnen möchte, vermittelt der Leuchtturm schon ein Gefühl von Heimkehr“, verrät Markus, der noch etwa zehn Minuten bis zu seinem Einsatz hat.
Fast beiläufig erzählt der 45-Jährige von seiner freiberuflichen Funktion als Zweiter Ältermann – dem zweiten „Klassensprecher“, wie sie es unter Kolleg*innen scherzhaft bezeichnen – in der Lotsenbrüderschaft NOK II für den Bereich Kiel–Lübeck–Flensburg. Hier ist er zuständig für 35 Angestellte, übernimmt die Verwaltung und sogar die Seebestattung verstorbener Kolleg*innen. „Mein Job ist abwechslungsreich, aber auch risikoreich“, erklärt Markus. Nicht nur witterungsbedingt, sondern auch in finanzieller Hinsicht. „Kein Schiff, kein Geld.“ Dass geschlossene Schleusen den Unterhalt eines Lotsen gelinde gesagt zeitweise schmälern, versteht sich von selbst.
Auf zu neuen Ufern
Plötzlich geht es ganz schnell. Der Autotransporter Ems Highway soll angesteuert werden. Markus und der Kapitän laufen zurück zum Lotsenboot. Zielsicher nimmt es Kurs auf den Koloss, der wie aus dem Nichts an der Lotsenversetzposition östlich des Leuchtturms auftaucht. Nach nur fünf Minuten Fahrt steigt Markus über die Lotsenleiter an Bord der Ems Highway. Jetzt ist er mitverantwortlich, das Schiff sicher durch die Kieler Förde zu leiten, indem er den Kapitän bei der Navigation berät. Ab der Schleuse in Kiel-Holtenau liegt es nicht mehr in seinen Händen. Hier führt ein weiterer Lotse die Ems Highway bis nach Rüsterbergen, um sie dort der Lotsenbrüderschaft Brunsbüttel zu überlassen. Zweimal in einer Acht-Stunden-Schicht soll ein Lotse den Leuchtturm Kiel ansteuern, um von dort auf ein fremdes Schiff gebracht zu werden. Zweiter Ältermann Markus wird an diesem Tag noch ein weiteres Mal beraten, beaufsichtigen und vertrauensvoll durch unbekannte Wege leiten. Danach fährt er nach Hause, erschöpft von frischer Seeluft und hoher Konzentration. Dann macht er das Licht aus – und am Leuchtturm Kiel geht ein Licht an, bereit für den nächsten Gast in der Kieler Förde.